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Erst vor wenigen Jahren konnten Chris und ich Hannes davon überzeugen, auf ein Hotelbett zu verzichten und stattdessen mit uns ins Zelt umzuziehen. Anfangs war er zwar wenig begeistert, aber den Flair, den ein Grillabend mit Rotwein aus dem


Land / Region:
Tschechei, Slowakei, Ukraine, Rumänien, Serbien, Ungarn, Österreich / Karpaten

Charakter:
Straße / Piste

Länge:
4760

Reisezeit:
Mai - Oktober



... Alubecher vorm Zelt hat, lernte er doch schnell schätzen. Trotzdem war er doch ein wenig skeptisch bezüglich meines neuen Routenvorschlags für die nächste Tour. Nachdem ich keine Lust mehr auf die Dolomiten hatte und wir erst im Vorjahr die Route des Grandes Alpes in Angriff genommen hatten, suchte ich auf der Landkarte nach neuen Herausforderungen. Das Schwarze Meer fiel mir spontan ins Auge und ich schlug meinen beiden Gefährten dieses als Ziel vor. Rumänien? Ukraine? Gängige Vorurteile machten sich bei allen breit. Unsere Bekannten warnten uns mehr oder weniger scherzhaft, dass wir bestimmt ohne Motorräder zurückkehren würden. Nach einiger Argumentation waren wir uns dann aber einig, meinen Vorschlag durchzuziehen. Über Tschechien, Slowakei, Ukraine und Rumänien peilen wir das Schwarze Meer an, um dann über Rumänien, Serbien, Ungarn und Österreich die Karpatenrunde zu komplettieren.

Früh morgens treffen wir uns bereits, schließlich wollen wir am ersten Tag Kilometer fressen. Nur so ist die Strecke von rund 4.500 Kilometern in nur 11 Tagen zu bewältigen. Länger haben wir aus beruflichen Gründen leider nicht Zeit. Das sollten wir noch bereuen, wenn wir das auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten. Lediglich für die ersten 100 Kilometer bis kurz vor Passau nahmen wir die A3, um dann auf Landstraßen die Tschechische Republik zu durchqueren. Wir kommen gut voran, auch wenn sich jetzt schon die über ganz Europa stehende Omega-Hochdruck-Wetterlage bemerkbar macht. Bei 28 Grad fahren wir an Český Krumlov vorbei und passieren im Laufe des Tages Brno. Böhmen kennen wir alle drei sehr gut und so wissen wir, dass die Tschechen in den letzten Jahren massiv aufgeholt haben. Das Preisniveau ist zwar immer noch deutlich niedriger als in Deutschland oder Slowenien, aber man merkt, dass der Wohlstand steigt. Vor allem an den Häusern und Autos kann man das schnell feststellen. Alles ist deutlich gepflegter als vor Jahren. Was wir jedoch bisher nicht wussten ist, dass sich dieser Eindruck verstärkt, je weiter man ins Inland vordringt. Nach 759 Kilometern kommen wir mit schmerzenden Hintern im slowakischen Prievidza an. Dort habe ich während der Planung einen Campingplatz am See gefunden, den wir ansteuern. Die ersten Kilometer in der Slowakei brachten ebenfalls kein Schockerlebnis mit sich. Zwar wirkt alles etwas älter und unaufgeräumter als in der Tschechei, aber man fühlt sich eben nur als würde man das Nachbarland vor zehn Jahren bereisen. Der Campingplatz selbst ist ebenfalls schön gelegen und gut besucht. Neben uns machen sich noch ein paar tschechische Motorradfahrer breit, die sich kurz darauf ebenfalls im See abkühlen.

Heute drehen wir ein paar Schleifen durch die Hohe Tatra. Leider führen weder über die Hohe noch die Niedere Tatra Passstraßen. Man aber genüsslich zwischen den Gebirgszügen rum kurven. Angeblich soll die Tatra ihre Schönheit erst bei einer Wanderung wirklich offen legen, aber dazu haben wir weder Zeit noch Lust. Wir ziehen lieber unsere Schleifen auf den Nord-Süd-Achsen und erfreuen uns an leeren Bergsträßchen. Ein bisschen erinnert der Gebirgszug an den Bayerischen Wald. Mit 2655 Metern über Null übertrifft die höchste Erhebung der Tatra diesen jedoch um Längen. Bis Michalovce, kurz vor der ukrainischen Grenze, wollen wir heute fahren. Spät am Abend treffen wir nach einem Tag voller Kurven an einem wieder am See gelegenen Campingplatz ein. Wir begutachten eine Weile das Treiben im öffentlichen Schwimmbad nebenan, dann fahren Hannes und ich nach Košice, um Grillfleisch und Bier zu besorgen. Einen näheren Supermarkt konnten wir leider nicht finden. Am Abend können wir dann noch belustigt ein paar Halbstarke beim Polieren ihrer schlecht getunten Autos beobachten. Kaum ist der Autofan fertig, stellt er zu unserer Verwunderung seine Kaffeetasse auf der Motorhaube ab. Das wirft ins uns zwei Fragen auf. Erstens: warum poliert jemand auf einem Campingplatz sein Auto? Und zweitens: Warum stellt man danach eine Tasse auf die eifrig polierte Fläche? Wir werden es nie erfahren und ergeben uns der Einsicht, dass wir dann wohl dumm sterben müssen.

Den nächsten Tag habe ich mit Spannung, aber auch gemischte Gefühlen erwartet. Wir folgen dem Karpatenbogen in die Ukraine. Die Krimkrise ist bereits in vollem Gange und so wissen wir nicht, welche Auswirkungen der Konflikt auf die Grenzen und den Südwesten des Landes hat. Bereits vor Erreichen der Grenze stellen wir fest, dass scheinbar sämtliche Sinti und Roma sich im slowakischen Grenzgebiet angesiedelt haben. Horden kommen uns entgegen und beginnen sogleich die Hände auszustrecken. Wir ignorieren sie und fahren weiter zur Grenze. Der Übertritt gestaltet sich wie erwartet zäh. Im ersten Häuschen werden nur die Pässe kontrolliert, im zweiten die Fahrzeugpapiere, im dritten die Fahrzeuge selbst und so weiter. Vor allem dauert alles etwas länger, da offenbar ein hochinteressantes Fußballspiel im TV übertragen wird. So schafft es der Grenze nur selten sich vom Bildschirm loszureißen und seinen Amtspflichten nachzugehen. Schmieren wollen wir auch nicht, deshalb zücken Hannes und nach eineinhalb Stunden unsere Geheimwaffen. Als quasi Amtsbrüder bieten wir die Ärmelabzeichen zum Tausch an. Schon erhellen sich die Gesichter und alles geht ganz schnell. Endlich haben wir den ersehnten Stempel im Pass und fahren nach Uschgorod durch Mukatschewe. Welche Auswirkungen die Krimkrise auch auf diese Ortschaft hat, sollten wir erst später in der Heimat erfahren. Kurz nach unserer Durchreise kam es dort zu einer Schießerei zwischen ukrainischen Sicherheitskräften und prorussischen Einwohnern. Wir überstehen den Ritt aber zunächst unverletzt und verlassen die sehr hässliche und heruntergekommene Betonblockstadt.

Kurz nach Mukatschewe biegen wir Richtung Swaljawa in ländliche Gebiete ab. Noch sind die Straßenschilder sowohl in kyrillisch als auch in lateinischen Buchstaben beschriftet, was die Navigation einfach macht. Schon bald findet man aber keine lateinischen Buchstaben mehr. Ich versuche mir die Namen in kyrillischen Schriftzeichen einzuprägen, was halbwegs funktioniert. Auf das Navi ist nämlich hier auch nicht wirklich Verlass. Bald fahren wir durch Ortschaften, die von überwältigender Armut gezeichnet sind. Die Häuser sind ausnahmslos verwahrlost, ebenso wie die davor sitzende Bevölkerung. Hier scheinen Arbeitsplätze mehr als nur rar zu sein. Ein Auto besitzt meist nur eine Person im ganzen Dorf, auch wenn es sich dabei fast ausschließlich um einen Porsche oder BMW handelt. Der Besitzer muss viel Gutes für das jeweilige Dorf tun, denken wir uns, ansonsten würde Luxusschlitten sicher nicht völlig unbehelligt und hochglanzpoliert am Straßenrand stehen. Woher das Geld für den Schlitten kommt, können wir nur mutmaßen. Die Straßen tun es dem Rest der ländlichen Region gleich und sind bald nur noch rudimentär vorhanden. Die Schlaglöcher sind nicht selten 40 Zentimeter tief und eineinhalb Meter lang. In unendlicher Folge holpern wir durch diese. Dazwischen spitzt immer wieder eine winzige Speerspitze aus dem Boden, die vermutlich vor Jahren Teil des Straßenbelags war. Die Fahrt im Stehen wird so ziemlich anstrengend und ein Sturz würde mindestens zu schwerwiegenden Verletzungen führen. Schnelle Hilfe wäre hier wohl kaum zu erwarten. Auch die inzwischen auf 38 Grad Celsius angestiegene Temperatur schwächt die Konzentration. Aufgrund der unerwartet schlechten Straßen, die auch in einem Offroad-Trainingszentrum gut aufgehoben wären, müssen wir früher als geplant nach Süden Richtung Rumänien abdrehen. Wir wollen nicht in der Ukraine am Straßenrand übernachten müssen und peilen deshalb wieder die EU an. Bei Chust stehen wir vor der Qual der Wahl: Der Grenzübergang bei Sighetu Marmației ist in keiner Karte verzeichnet und so wissen wir nicht, ob er noch existiert. Die andere Richtung wäre aber ein riesiger Umweg. Fahren wir nach Sighetu Marmației und der Übergang existiert doch nicht, müssen wir aber den ganzen Weg wieder zurück. Wir beschließen Goolge Maps mehr Glauben zu schenken und fahren weiter Richtung Osten.

In Solotwyno suchen wir verzweifelt den Grenzübergang und bleiben schließlich am Straßenrand stehen, um die Karten zu überprüfen. Plötzlich fährt ein 7er BMW an uns vorbei und eine finstere Gestalt streckt uns den Mittelfinger entgegen. Kurze Zeit später gesellt sich ein Audi A8 hinzu und wir werden langsam umkreist. Eine alte Frau, die an uns vorbeigeht, schimpft in ihren Bart und wirft uns auch für uns verständliche Gesten entgegen. Wir interpretieren ihren Daumen am Hals so, dass wir uns schleunigst aus dem Staub machen sollen. Leicht geschockt suchen wir schnell das Weite und zum Glück hat Chris‘ Navi den Grenzübergang gefunden. Uns war beim Durchqueren von Solotwyno schon aufgefallen, dass hier extrem große Villen das Bild prägen und diese auch alle fertig gebaut waren. Warum ausgerechnet hier die Baubranche boomt konnten wir genauso wenig wie die Ursache des Zwischenfalls mit den Einheimischen in Erfahrung bringen. Bevor sie uns also abmurksen retten wir uns in die EU über einen Grenzfluss. Die Brücke ist so schmal, dass maximal ein Pkw diese befahren kann. Auf der gegenüberliegenden Seite sitzen drei rumänische Grenzer in Klappstühlen und lassen sich den wohlgeformten Bauch bräunen. Offenbar ist hier der Grenzverkehr eher rar. Zumindest teilen sich die Drei zu unserer Belustigung eine Uniform. Der erste trägt die Hose, der Zweite das Hemd und der Dritte fühlt sich unter der Mütze wohl. Uns soll’s egal sein, Hauptsache wir sind ohne großes Tamtam weg von Solotwyno.

In Rumänien ändert sich das Landschaftsbild schlagartig. Der Kreis Maramureș macht einen wunderbar gepflegten Eindruck. Die Straßen sind gut, die Häuser wieder renoviert und die Bevölkerung freundlich. An dieser Stelle muss ich klarstellen, dass im restlichen von uns befahrenen Teil die Grundstimmung auch sehr viel freundlicher als in Solotwyno war. Überall winkten uns die Menschen begeistert zu und staunten über unsere Reisemobile. Auch in Rumänien sind die am Straßenrand spielenden Kinder völlig perplex und erfreut über das Eintreffen der großen Motorräder. Eifrig winken wir zurück und finden in der Nähe von Vișeu de Jos einen Campingplatz. Dabei handelt es sich mehr um den mit Apfelbäumen bepflanzten Garten des Restaurants. Sogleich kommt der Sohn der Inhaber und winkt uns herein. Wir schaffen es sturzfrei über die Böschung und noch bevor wir unsere Zelte aufbauen können, kommt der Betreiber mit einem Tablett voll Schnaps angerannt. Sie hätten gesehen, dass wir aus Bayern sind. Auch an den Bayernwimpel, die an der Dachrinne rund um das Haus herum angebracht sind, erkennen wir jetzt die Vorliebe der Familie für das Bundesland. Es gibt selbstgebrannten Palinka (Obstschnaps) zur Begrüßung, der in eiskaltem Zustand ganz gut schmeckt. Nach der dritten Runde haben wir dann die Erlaubnis unser Nachtlager aufzustellen. Aufgrund der Gastfreundschaft beschließen wir, heute im zugehörigen Restaurant zu speisen. Das servierte Essen schmeckt vorzüglich und schon bald gesellen sich die Kommilitonen des in Cluj-Napoca studierenden Sohnes zu uns. Die erste Flasche Palinka ist bald geleert, während wir uns im Mix aus deutscher, englischer und rumänischer Sprache unterhalten. Viel zu spät kommen wir ins Bett und werden es am nächsten Morgen bitterlich bereuen. Wie sich zeigt, ist der selbstgebrannte Palinka ein wahrer Schädelsprenger. Wir wundern uns, dass wir nicht erblindet sind. Und in nicht eiskaltem Zustand schmeckt der auch gar nicht mehr so gut. Beim Blick in die Augen von Chris und Hannes kurz nach dem Aufstehen hätte ich nicht gedacht, dass wir heute auch nur irgendwo hinfahren. Ein deftiges Frühstück im Restaurant richtet uns dann doch wieder auf und wir können der geplanten Route folgen.

Den Karpaten folgend fahren wir weiter nach Bicaz. Auch wenn Rumänien im Vergleich zur Ukraine deutlich aufgeräumter wirkt, kommt es uns trotzdem vor wie eine Zeitreise. Ein besitzt auch hier bei weitem nicht jeder. Die Häuser werden notdürftig, wenn auch liebevoll, in Stand gehalten. Pferdefuhrwerke, die teils auch als Taxi benutzt werden, prägen das Bild. Auch die Straßen sind beileibe nicht die besten und ich bin froh einen Heidenau K60 Scout aufgezogen zu haben. Immer wieder geht die Straße in Schlaglochpisten oder Schotter über. Wir fliegen mit 80 km/h einfach über die Schlaglöcher und bewundern gleichzeitig die Standhaftigkeit der einheimischen Pkw. Langsamer kann man ohnehin auch innerorts nicht fahren. Will man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, fährt einem nach kurzer Zeit der nächstbeste 40-Tonner auf einen Meter auf und setzt zum Überholen an. Das erscheint uns gefährlicher als innerorts 80 km/h zu fahren, weshalb wir uns notgedrungen an die ortsübliche Fahrweise anpassen. Dass am Straßenrand überall Kinder spielen, während die Lkw deutlich zu schnell vorbei donnern, stört auch niemanden wirklich. Vorbei an Băcau fahren wir bis Comănești, wo wir den Campingplatz „Camperland“ ansteuern. Wir sind zunächst verwirrt, es scheint sich lediglich um ein Geschäft für Wohnmobile zu handeln. Wir fragen nach und werden völlig überrascht. Hinter dem Geschäft verbirgt sich ein perfekt gepflegter Campingplatz mit neu errichteten Sitzgelegenheit und Holzüberständen, absolut sauberen Dusch- und WC-Häuschen sowie einem prall gefüllten Kühlschranke. Der Betreiber ist wie inzwischen gewohnt freundlich und begrüßt und überschwänglich. Bis heute steht dieser Campingplatz unangefochten auf Platz Eins in meinem persönlichen Ranking. Den Kühlschrank dürfen wir nutzen wie wir wollen, zahlen können wir am nächsten Tag. Campen ist in Rumänien übrigens grundsätzlich ein äußerst günstiges Vergnügen. Man sollte sich aber gerade im Zentrum vor Abfahrt Gedanken machen, wo der nächste Platz am Zielort ist. Campingplätze gibt es in Rumänien nicht wie Sand am Meer. Erfreut anlässlich des sehr gepflegten und sauberen Campingplatzes genehmigen wir uns eine Dusche, bevor wir uns ans Nudeln kochen machen.

Tags darauf starten wir in aller Herrgottsfrüh die Motoren und verlassen die Karpaten. Wir peilen das Schwarze Meer an und müssen dazu auf einer hundert Kilometer langen schnurgeraden Straße durch den Osten Rumäniens fahren. Soweit das Auge reicht sieht man links, rechts und bis zum Horizont nur Sonnenblumen- oder Kornfelder. Nur vereinzelt begegnet uns hier ein Pferdefuhrwerk. Das heiße Kontinentalklima schlägt nun richtig zu und wir erreichen inzwischen Temperaturen von über 40 Grad. Von schattigen Bäumen können wir nur träumen, bis zur Küste gibt es diese nämlich nicht. Natürlich trinken wir zu wenig, was sich zusätzlich in der Konzentrationsfähigkeit bemerkbar. Fahrlässiger Weise halten wir zu spät an, um zu trinken, sodass wir teilweise schon in Schlangenlinien dahin rollen. Bis Chris, der zu seinem Glück eine Trinkblase in seiner Rallye-Jacke dabei hat, uns aus unserer Trance reißt und uns gebietet endlich zur Flüssigkeitsaufnahme anzuhalten. Gesagt, getan, schon läuft’s wieder besser. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir die Donau. Der Fluss ist kurz vor dem schwarzen Meer derart angewachsen, dass man das gegenüberliegende Ufer kaum sieht. Man glaubt sich bereits am Schwarzen Meer zu sein, dabei sind es doch nur die ersten Vorboten des Donaudeltas. Mit einer Fähre müssen wir die Donau überqueren, bevor wir das Delta erreichen. Wir hoffen einige landschaftliche Impressionen sammeln zu können, werden aber schnell enttäuscht. Von Land aus sieht man so gut wie nichts. Keine Flamingos oder sonstiges Naturschönheiten, die uns während der Internetrecherche im Voraus beeindruckt hatten. Man müsste hier eine Bootstour buchen, um das Delta gebührend besichtigen zu können. Fast schon verzweifelt stellen wir fest, dass wir uns aus Zeitgründen keinen Tag Pause gönnen können. Auch ist es schon recht spät, heute schaffen wir die Tour auch nicht mehr. Bis heute bereue ich die Bootstour nicht gemacht zu haben, wo wir doch so nah dran waren. Auch die Campingplatzsuche zeigt sich schwierig. Die im Internet gefundenen Plätze sind allesamt nicht vorhanden oder nur zu Fuß zu erreichen. Also fahren wir schweren Herzens weiter. Zumindest können wir dann an der Schwarzmeerküste campen. Bei Constanța finden wir endlich einen Campingplatz. Sofort machen Hannes und ich uns auf den Weg ins Wasser. Wer kann schon behaupten zum Planschen mit dem Motorrad ans Schwarze Meer gefahren zu sein? Wir wären Frevler, würden wir nicht ins Meer springen. Zwischen Campingplatz und dem Strand befindet sich eine Gasse, an der sich links und rechts Geschäfte und Restaurants aneinander reihen. Wir besuchen ein Fischlokal und bestellen Diverses aus der Auslage. Es schmeckt sehr lecker und wir begeben uns gut genährt zurück zum Nachtlager, wo kühles Bier auf uns wartet. Das böse Erwachen kommt mit dem Gang zur Toilette. Sämtliche mit Plumpsklos versehenen Kabinen sind von oben bis unten voll mit menschlichen Exkrementen. Der Anblick entbehrt jeder Beschreibung, so muss tags darauf die Gästetoilette der OMV-Tankstelle herhalten.

Tankstellen gibt es in Rumänien und der Ukraine überraschend viele und nach gewohntem deutschen Standard. Wir fragen uns, wer hier tanken soll, denn die Einheimischen fahren meistens nur mit 2l-Plastikflaschen vor, um sich diese befüllen zu lassen. Dass jemand sein Auto direkt betankt, haben wir selten beobachten können. So ist der Tankwart auch recht überfordert, als wir volltanken wollen. Nach mehrmaligem Nachfragen erfüllt er unseren Wunsch und machen uns auf den Weg zurück in die Karpaten. Zunächst müssen wir die Einöde überstehen, bevor wir vor Brașov wieder bergige Regionen erreichen. Wir erreichen das Schloss Bran, als es unvermittelt touristisch wird. Ganze Busse voller japanischer Touristen säumen den Weg. Die Törzburg wird Touristen als das Draculaschloss präsentiert. Es soll den Beschreibungen im Roman von Bram Stoker recht nahe kommen. Die historische Vorlage zur Figur, Fürst Vlad III. Drăculea, hat das Schloss jedoch vermutlich nie betreten. Wir sparen uns eine Besichtigung von innen und beschließen, dass der Bau von außen auch recht imposant wirkt. Nach ein, zwei Fotos ziehen wir schließlich weiter. Relativ spät kommen wir am Campingplatz „De Oude Wilg“ an. Wie der Name schon verrät, sind die Betreiber holländischer Abstammung. Tatsächlich treffen wir hier auch auf Platznachbarn aus Garmisch-Patenkirchen, was uns angesichts der bisherigen Abwesenheit deutscher Touristen fast ein wenig überfordert.

Am nächsten Tag steht ein ganz besonderes Highlight an: die Transfăgărășan mit einer Passhöhe von 2042 Metern über Null. Der Straßenbelag könnte besser sein, aber die Landschaft, das Bergmassiv sowie die eindrucksvoll in den Berg gebaute Passstraße entschädigen vollumfänglich. Dieser Pass spielt definitiv ganz oben mit. Kurz vor der eigentlichen Passhöhe passiert man den Vidraru-Stausee. Auch die Staumauer weiß mit einer Höhe von 166,60 Metern zu imponieren. Von der Passhöhe aus hat man dann einen beeindruckenden Blick ins Tal und auf die zuvor bewältigten Serpentinen. Über die parallel verlaufende E81 fahren wir wieder nordwärts, bis wir abends das nächste Nachtlager an einem Campingplatz nahe eines Sees aufschlagen. Dort nächtigen auch mehrere Montagearbeiter, die kurz nach uns eintreffen und uns ein wenig verwundert beäugen. Auf der gegenüberliegenden Seite entdecken wir ein kleines Restaurant, in dem wir uns eine mächtige Fischsuppe und einen Grillteller gönnen. Alles zusammen kostet dann inklusive sechs Bier gerade mal 20 €. Später sitzen wir mit den Montagearbeitern zusammen und verständigen uns mit Händen, Füßen und ein wenig Englisch. Unseren Palinka mögen sie nicht, der im Norden sei zu stark, sagen sie. Als dann Chris fragt, ob sie auch Italienisch sprechen würden, sind sie leicht erbost. Der englisch Sprechende klärt uns auf: „Only gipsies speak Italian“. Wieder was gelernt. Wir dachten Rumänisch und Italienisch ist eh fast das Gleiche. Aber bereits beim Erlernen der wichtigsten Höflichkeitsformel wurde uns bewusst, dass wir einem Irrglauben aufgesessen sind.

Tag 8 bricht an und der steht ganz im Zeichen der Südkarpaten. Dieser Teil des Gebirges ist der schönste von allen bisher bereisten, nicht nur wegen der Transfăgărășan. Viele Kurven in toller Berglandschaft machen das Vorankommen zum Genuss. Wir fahren nord- und südwärts, während wir uns langsam gen Westen schlängeln. In den transsilvanischen Gebirgen begegnen wir zwar keinen Vampiren, stattdessen aber einem Honighändler mitten im nirgendwo. Da wir ohnehin noch ein Mitbringsel brauchen, halten wir und kaufen ein paar Gläser Waldhonig. Langsam aber sicher verlassen wir nachmittags die Karpaten und quälen uns in einem unendlichen Stau nach Timișoara. Dort verbringen wir leicht wehmütig, aber auch geschlaucht, die letzte Nacht in

Trotz Heimreise wird es nochmal spannend. Wir stehen kurz vor der serbischen Grenze und wissen nicht so recht, was wir erwarten sollen. Doch die Grenzkontrolle verläuft so ganz anders als in der Ukraine. Kurz nachdem ein Grenzbeamter unsere Pässe eingesammelt hat, kommt der sehr jung aussehende Vorgesetzte aus dem Grenzhäuschen. Der ist aber weniger an uns als an den Motorrädern interessiert. Wieviel Kubik und PS die hätten will er ebenso wissen, wie den Tankinhalt und die mögliche Reichweite. Nachdem wir seine interessierten Fragen zu seiner Zufriedenheit beantwortet haben, reisen wir in Serbien ein. Der von uns durchquerte Teil des Landes enttäuscht aber eher. Keine Erhebungen ziert das Gelände, nur vertrocknet aussehende Felder und nicht besonders ansehnliche Dörfer. Schade, denn ich bin mir sicher, dass Serbien in anderen Landesteilen mehr zu bieten hat. Jedenfalls fällt es uns nicht schwer Serbien zu verlassen und Ungarn unter die Räder zu nehmen. Auch der Süden Ungarns hält nicht das, was der Norden verspricht. Es ist landschaftlich relativ gleichtönig, aber das größere Problem ist eine Baustelle mit gigantischen Ausmaßen. Egal wo wir abbiegen, die Straßenbauer weichen uns nicht von der Seite. Über 50 Kilometer lang quälen wir uns durch die Dauerbaustelle, bis wir schließlich am Plattensee ankommen. Leider nicht ohne Zwischenfall. Ausnahmsweise halten wir an einem Zebrastreifen, was der nachfolgende BMW-Fahrer zu spät sieht. Er touchiert Hannes linken Koffer und schiebt ihn nach vorne. Zum Glück war der BMW nicht mehr schnell, sodass Hannes nicht stürzte. Aber die Koffer waren ab, die mussten wir nun irgendwie auf die anderen Motorräder verteilen. Zum Glück im Unglück ist der Unfallgegner Deutscher, was den Personalienaustausch und die Schadensregulierung deutlich erleichtert. Die Stimmung ist trotzdem erst mal im Keller. Völlig umsonst, wie sich daheim herausstellen sollte. Der Schaden war weit geringer als zunächst angenommen. Am Plattensee kommen wir nach vielen ruhigen Nächten in den zweifelhaften Genuss des trinkwütigen Massentourismus. Wir lassen die Eindrücke der letzten Tage am Ufer an uns vorüberziehen, wohlwissend dass das Ende unserer Tour bald gekommen ist.

Am vorletzten Tag fahren wir nach Wels in Österreich. Auch Österreich geizt mit Reizen nicht, aber die letzten Tage haben uns ziemlich mitgenommen. Leider nehmen wir die Landschaften hier gar nicht mehr richtig war. Wir hoffen auf beste österreichische Hausmannskost, sämtliche Restaurants im Ort haben jedoch geschlossen. Wir müssen uns mit halbaufgetauten Snacks einer nah gelegenen Billardbar begnügen.

Am letzten Tag sind es nur wenige Stunden Autobahnfahrt bis nach Hause. Am frühen Nachmittag kommen wir an und fallen todmüde ins Bett. Um es in elf Tagen ans Schwarze Meer und zurück zu schaffen, sind wir jeden Tag um 6 Uhr morgens aufgestanden und haben die Campingplätze meist erst zwischen 19 Uhr und 20 Uhr erreicht. Das sitzt uns in den Knochen. Trotzdem sind wir ungemein reicher geworden. Entgegen aller Erwartungen sind wir auf den eigenen zwei Rädern zurückgekommen. Liegen gelassen haben wir nur die vielen Vorurteile, die in Deutschland gegen das Land Rumänien oftmals vorherrschen. Wir haben die Rumänen als hart arbeitendes, sehr gastfreundliches Land erlebt, das nicht zuletzt wegen der Landschaften eine Reise wert ist. Die Motorradtour war nicht nur ein Feldzug gegen die allgemeinen Vorurteile, sondern auch der Auftakt zu vielen weiteren Motorradtouren in Europas Osten.


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