Ihr werdet nur Regen haben, es ist kalt und der Wind wird euch von der Straße fegen. Mit solchermaßen guten Ratschlägen ausgestattet, starteten Karl Spiegel (Text / Fotos) und Barbara Müllner (Fotos) im Spätherbst nach Irland. Doch die Wirklichkeit sah deutlich besser aus und das Erlebte war intensiver, gemütlicher und sonniger


Land / Region:
Irland / Die südliche Hälfte der irischen Insel

Charakter:
Straßen, Sträßchen und Singletracks

Länge:
2000

Reisezeit:
Oktober & November



... als vorhergesagt.

Mit gemischten Gefühlen hinsichtlich des prognostizierten Wetters, erreiche ich mit der Fähre, aus Cherbourg kommend, die Hafenstadt Rosslare im Südosten der irischen Insel. Doch wo sind Regen und Wind? Strahlender Sonnenschein begleitet mich auf den ersten Kilometern auf der irischen Insel. „The right side is the wrong side – Die rechte Seite ist die falsche Seite“ präge ich mir noch ein um den Linksverkehr auf den winzigen Straßen genießen zu können. Das Thermometer zeigt gnädige zwölf Grad, jedoch wird es in dieser Jahreszeit früh dunkel und so ist meine erste Etappe nur kurz. In Kilmore Quay, in Sichtweite des Meeres finde ich eine urige, gemütliche Unterkunft. Meine Gastgeber sind ganz verblüfft, denn um diese Jahreszeit hätten sie noch nie Gäste gehabt, die mit dem Motorrad unterwegs gewesen wären. Und überhaupt, so sagen sie, ist es Mitte Oktober längst mit dem Tourismus vorbei. Während ich im mollig warmen Federbett schlummere, tost draußen der Sturm und es regnet wie aus Kübeln.

Als ich morgens die Alukoffer ans Motorrad schnalle sind vom nächtlichen Unwetter nur noch vereinzelte Pfützen auf den Straßen zu sehen. Wieder scheint die Sonne. Ursprünglich war heute geplant die etwa 170 Kilometer in die Hauptstadt Irlands, Dublin, auf der direkten Küstenstraße zu fahren. Doch ein Blick auf die, am Frühstück neben mir ausgebreitete, Landkarte lässt meinen Blick auf den Wicklow Mountain Nationalpark fallen. Ist wirklich schön, höre ich meinen Gastgeber sagen als er mir ein deftiges irisches Frühstück bringt. Auf Landstraßen dritter Ordnung tingle ich gen Norden. Der Einzylinder unter mir stampft gemütlich in den erwachenden Tag. Nach 100 Kilometer erreiche ich, immer noch im Sonnenlicht fahrend, den Ort Aughrim, den südlichen Einstieg in den Nationalpark. Mit Fingerspitzengefühl geht es nun nach Norden, denn die Sträßchen sind nass und voller Laub. Die Landschaft wird mehr und mehr von Wald geprägt und immer wieder kann man die bis zu 900 Meter hohen, baumlosen Berghügel erspähen. Ab dem geschäftigen Ort Laragh, mit den pittoresken und farbigen Häuserfronten, steigt die Straße zügig an. Niemand scheint unter der Woche und zu dieser Jahreszeit in diesem Gebiet unterwegs zu sein. An einem Aussichtspunkt stelle ich die Maschine ab. Nur das sanfte Rauschen des Windes und der leise knisternde Motor leisten mir Gesellschaft. Balsam für die Seele.

Wieder im Tal muss ich mich an einer Wegkreuzung für geradeaus nach Norden, rechts nach Osten oder links nach Westen entscheiden. Der Blick auf die Landkarte verspricht am meisten Motorradspaß bei der Variante geradeaus. Fast zwanzig Kilometer Wald, Wiesen, Grasland, kleine Seen und holprige Straßen sind die Belohnung. Mein Getriebe hat wenig zu tun, meist fahre ich im vierten oder fünften Gang und streichle nur sanft den Gasgriff. Kurz nach dem Weiler Cunard ist es dann vorbei mit der Gemütlichkeit, die Hektik der Zivilisation hat mich wieder, denn ich bin im Dunstkreis der Metropolregion Dublin mit über 1,2 Millionen Einwohner. Stopp and Go bestimmt von nun an mein Tempo. Mein Navi lotst mich mitten durch das historische Zentrum der Stadt. Vorbei an der bekannten Conolly-Street, über den Fluß Liffey, nach Norden. Hier im Norden der Stadt liegt das kleine B&B wo ich mich mit meiner Freundin Bärbel, die direkt mit dem Flugzeug aus Deutschland angereist ist, treffe. Von nun an erkunden wir den südlichen Teil der irischen Insel zu zweit auf der kleinen GS.

Zur Stadt Dublin bekommen wir nicht wirklich einen Zugang, es springt einfach nicht der Funke über. Trotzdem lassen wir es uns natürlich nicht nehmen, das riesige Besucherzentrum des bekannten irischen Bierbrauers zu besuchen. Wo sonst lange Schlangen von Besuchern an den Eingangskassen Geduld erfordern, herrscht heute gähnende Leere. Durchaus interessant sind die sehr aufwändig gemachten einzelnen Präsentationsbereiche und Ausstellungen. Doch von der Produktion oder der Abfüllung sehen wir leider nichts. Der weit über die Stadt schweifende Blick aus der Roof-Top-Bar entschädigt jedoch. Am nächsten Tag, immer noch bei Sonnenschein, verlassen wir zügig die Stadt und fahren in den Wicklow Nationalpark hinein. Doch was ist heute los? Überall Autos, Wanderer und schier unendlich viele Radfahrer. Des Rätsels Lösung ist, es ist Samstag und für die Stadtbewohner des nahen Dublin ist dies ein bevorzugtes Wochenendziel. Keine Spur mehr ist übrig vom Genussfahren der ersten Begegnung mit dem Nationalpark. So beißen wir uns bis Laragh durch und nehmen dann den kürzesten Weg nach Südwesten. Kaum sind wir aus dem Nationalpark heraus ist wieder Ruhe um uns herum. Auf kleinen, leicht kurvigen Straßen, cruisen wir, von der Spätherbstsonne beschienen, Richtung Kilkenny.

Kilkenny gilt mit seinem mittelalterlichen Stadtkern, dem Fluß Nore und der Burg von Kilkenny als eine der schönsten Städte Irlands. Eine Fahrt entlang der Rose Inn Street, der Kieran Street und der High Street macht Freude. Kleine, in unterschiedlichsten Farben gestrichene Häuser reihen sich Haus an Haus eng aneinander. Nahezu in jedem vierten Haus ist ein uriges Pub zu finden. Und, wie es sich gehört, gibt es hier das, laut Werbung, bekannteste Ale-Bier Irlands, das Smithwick’s. Dieses stammt aus Kilkenny und wurde auch hier gebraut. Aber die 1710  von John Smithwick in einer ehemaligen Franziskanerabtei gegründete Brauerei wurde 2013 geschlossen und nach Dublin verlagert. Doch es gibt Hoffnung. Bereits 2014 wurde in Kilkenny eine neue Brauerei gegründet, die für den lokalen Markt produziert. Abends genießen wir dieses einheimischen Bier in den Pubs der Stadt. Hier schlägt das wahre Herz Irlands. Hier trifft sich Jung und Alt, hier wird geplaudert, diskutiert und gesungen. Dazu gibt es als wunderschöne und herzerfrischende Zugabe irische Volksmusik. Doch Achtung, spätestens um halb elf Uhr abends heißt es die letzte Bestellung „last call“ aufzugeben. Dann hat man aber immer noch dreißig Minuten Zeit zum Austrinken, bis um 23 Uhr abgeschlossen wird.

Über flaches Land, durch saftig grüne Wiesen, gemütlich vor sich hin kauenden, unendlich vielen Kühen, wollen wir uns in diesem Teil Irlands, im County Wexford, ein Stück irischer Geschichte aus schlechten Zeiten anschauen. Im Süden von New Ross, am Fluß Barrow, liegt ein sogenanntes Auswandererschiff. Auf dem Höhepunkt der Hungersnot in Irland 1847 segelten solche Schiffe, vollgestopft mit Menschen in die neue Welt. Die Dunbrody, so heißt das Schiff, segelte gewöhnlich nach Quebec und transportierte über 300 Passagiere auf diesem gerade einmal 37 Meter langen Schiff. Eine Koje von zwei mal zwei Meter musste für eine ganze Familie ausreichen. Trotz der unvorstellbaren, katastrophalen Zustände an Bord hatte man „nur“ acht Todesfälle in „Grosse Ile“ zu beklagen. Vier Passagiere starben während der Reise, vier weitere während der Quarantäne in Grosse Ile. Andere Schiffe wurden gar als Sarg-Schiffe bezeichnet, denn es war nichts ungewöhnliches, dass Segelschiffe der damaligen Zeit oft eine Todesrate von 40 bis 50 Prozent ihrer Passagiere hatten. Auch wenn das in New Ross am Kai liegende Schiff ein originalgetreuer Nachbau der Dunbrody ist, so verlassen wir sie doch mit traurigen und gemischten Gefühlen. Wer will kann das nur wenige Kilometer entfernte Stammhaus der Kennedy Familie ansehen. Uns zieht es jedoch wieder aufs Motorrad und auf die Küstenstraßen im Süden der Insel. Kurz hinter Tramore sehen wir zum ersten Mal wieder das offene Meer. Leuchtend blau, mit glitzernden Wellenkämmen liegt es vor uns. Wir stoppen und genießen die Herbstsonne, das klare Wetter und die erfrischende, würzige Luft. Erfrischend ist auch, dass wir auf unserem weiteren Weg nach Südwesten keinen nennenswerten Autoverkehr haben. Links das Meer, rechts die grünen Wiesen, so geht es Kilometer um Kilometer bis wir hinter der Stadt Youghal wieder ins Hinterland eintauchen. Doch unser heutiges Etappenziel liegt wieder am Meer oder besser gesagt in der Bucht von Cork Harbour, in der Stadt Cobh. Man hat das Gefühl ein Teil der Häuser würden sich an einen hoch aufragenden Hügel klammern. Ein anderer Teil der bunten, in Pastelltönen gestrichenen Häuser zieht sich entlang der Seepromenade. Im Sommer tummeln sich hier viele, zu viele Menschen. Jetzt, zu Zeiten in denen auch kein Kreuzfahrtschiff anlegt, ist es mehr als ruhig. Neben einem Polder am Hafen stellen wir unser Motorrad ab und genießen den Anblick der Stadt. Hoch ragt die St. Colman’s Cathedral in den Himmel und dominiert das Ortsbild. Während der Zeit der großen Atlantikliner legten die Schiffe in Cobh nochmals an, bevor sie hinaus in die Weite des Atlantiks fuhren. Am 11. April 1912 verließ die Titanic das damalige Queenstown, heute Cobh, mit 1308 Passagieren und 898 Mannschaftsmitglieder an Bord, zu ihrer letzten Fahrt. Im Cobh Heritage Center und im Titanic Experience sind viele interessante Informationen zur Titanic zusammengetragen, ein Besuch lohnt sich.

Unsere Maschine ist wieder gepackt, wir sind voller historischer Eindrücke. So verlassen wir die Hafenstadt Cobh auf dem Weg in die nächste Hafenstadt, Kinsale im County Cork. Hier beginnt der legendäre „Wild Atlantic Way“, der sich auf einer Länge von 2600 Kilometern entlang der Süd,- West- und Nordküste Irlands bis an die Grenze von Nordirland auf der Inishowen Halbinsel erstreckt. Von Kinsale sind es nur dreizehn Kilometer zum wetterumtosten Kap „Old Head of Kinsale“. Heute lässt uns die Sonne im Stich. Es ist bewölkt, grau in grau, als wir den Parkplatz oberhalb des Kaps erreichen. Das Signal Tower Café hat leider schon geschlossen, so dass wir uns keinen wärmenden Kaffee holen können. Ganz zum Ende des Kaps kann man leider nicht fahren, denn der gesamte Bereich wird von einem Golfclub genutzt. So schweift unser Blick über die Reste einer alten Burg hinaus auf Meer. Genau hier, vor der Küste, ereignete sich eine weitere Schiffskatastrophe. Am 7. Mai 1915 querte das luxuriöse Schiff der Cunard Reederei, die Lusitania, die irische See vor dem Kap als ein vom deutschen U-Boot U 20 ausgestoßener Torpedo um die Mittagszeit das Schiff traf. Nur 18 Minuten dauerte der Todeskampf der Lusitania. Und nur 761 der insgesamt 1962 Passagiere an Bord überlebten den Untergang. Die hohe Zahl an gestorbenen amerikanischen Staatsbürgern führte in der Folge zur Kriegserklärung der USA an das Deutsche Reich.

Wieder verlassen wir dieses an sich schöne Fleckchen Erde mit traurigen Gefühlen. Den Ausschilderungen des Wild-Atlantic-Way kann man wirklich blind folgen. Stets ist auf den Wegweisern ein N für nordgehend und S für südgehend zu finden. Da jedoch nahezu jegliche Möglichkeit ausgeschöpft wird, entlang der Küste zu fahren, benötigen wir für die Strecke zu unserem nächsten Ziel Skull nicht eineinhalb Stunden, wie unser Navi ausgibt sondern über drei Stunden. Doch jeder Kilometer lohnt sich. Herrlich enge Straßen mit atemberaubenden Blicken auf die bizarre Küstenlandschaft lassen Freude aufkommen. Weniger Freude kommt allerdings auf, da sich der Wettergott entschlossen hat, die Zutaten zum Irish-Cocktail, Wind und Regen, sehr viel Regen, uns entgegen zu schleudern. Auch der nächste Tag bringt keine Besserung. Aber sind wir nicht in Irland um bewusst auch diese Wetterkapriolen zu erleben? Und so entschließen wir uns am nächsten Tag nicht alle fünf Landschaftsfinger der Südwestküste zu erkunden, sondern einfach nur an das vorgelagerte Kap „Mizen Head“ zu fahren. Der Regen peitscht uns gegen das Visier, der Wind schüttelt uns und unsere Maschine auf den 24 Kilometern bis zum Kap kräftig durch. Nicht immer ist es leicht das Motorrad ordentlich auf der Straße zu halten, schon gar nicht wenn unvermittelt Böen, mit Windstärke acht und mehr, uns treffen. Und doch ist es ein schönes Gefühl den Elementen zu trotzen und fast jeden Kilometer zu genießen. An der Mizen Head Signal Station angekommen stellen wir unser Motorrad in den Windschatten des Gebäudes, anderenfalls würde es von der nächsten Böe sofort umgeworfen werden. Da wir nicht mit aufgezogenen Helmen die letzten Meter bis zum Kap gehen wollen, ziehen wir unsere wasserdichten Hüte, auch Südwester genannt, auf und machen sie mit der Sturmleine fest. Schroffe Klippen stemmen sich am Mizen Head aus den Fluten des Atlantiks empor und das Echo der Brandung liegt über der Landzunge. An der Westspitze steht ein eher unspektakulärer Leuchtturm, der nur über eine Brücke zu erreichen ist. Dieses 52 Meter lange Bauwerk überspannt einen tiefen Felseinschnitt und führt in schwindelerregender Höhe hinüber zur anderen Seite. Von Mizen Head aus kann auch man am südlichen Horizont den Leuchtturm auf dem Fastnet Rock gut erkennen. Heute reicht die Sicht auf die aufgepeitschte See nur wenige hundert Meter. Erst nach vollständigem Aufwärmen, einem guten Kaffee und einem süßen Stückchen, die wir in der Leuchtturmstation einnehmen, fahren wir wieder zurück nach Skull.

Welch ein Erwachen,  als wir die Augen aufmachen scheint schon die Sonne am wolkenlosen Himmel. Und, als hätte es nie ein Gestern gegeben, strahlt das Meer in leuchtendem Blau. Genau richtig um die beiden „Rings“, den Ring of Beara und den Ring of Kerry zu befahren. Wir verabschieden uns vom südlichsten Landzipfel, vom südlichsten Finger, und umfahren den vierten Finger zwischen der Dunmarus Bay und der Bantry Bay. Auf der Panoramastraße bis zum Einstieg in den Ring of Beara, in Glengarriff, begegnet uns auf 75 Kilometern Länge nicht ein einziges Fahrzeug. Irgendwie ist diese Jahreszeit ein besonderes Geschenk an uns. Warum der Ring of Beara nicht so touristisch erschlossen ist wie der weiter nördlich gelegene Ring of Kerry erschließt sich uns bald, denn die Straße führt zwar entlang der Küste, jedoch größtenteils mit einem gehörigen Abstand zu dieser. Doch die Beara Halbinsel bietet einen ganz besonderen Leckerbissen. Es ist der Healey Pass der die Nord- und Südseite der Halbinsel zwischen Lauragh und Adrigole verbindet. Von Süden aus führt die enge Straße mit vielen Serpentinen und Kurven hinauf auf den 300 Meter über Meereshöhe liegenden Pass. Weit reicht der Blick von den nur mit grünen Matten bewachsenen Bergen hinunter in die tiefgrün bewaldete Küstenlandschaft des Kenmare Rivers. 160 unvergessene und eindrückliche Kilometer später erreichen wir den Einstieg in das nächste Highlight an dieser Küste.

Dort wo sich in den Sommermonaten unzählige Busse, Autos und Fahrradfahrer tummeln ist zu dieser Herbstzeit wieder Ruhe und Frieden eingekehrt. Der berühmte und bekannte Ring of Kerry, der die gesamte Küstenlinie der Inveragh Halbinsel umschlingt, lässt unsere Motorradfahrerherzen höher schlagen. Sanfte, leicht geschwungene Kurven versüßen die Fahrt entlang der Südküste der Halbinsel. Immer wieder laden die tief ins Herz gehenden, eindrücklichen Blicke hinaus auf Meer zum Anhalten ein. Kurz vor Derrynane verlassen wir den Wild Atlantic Way und fahren auf der Lambs Head Road, einer engen, grasbewachsenen Straße bis zu deren westlichem Ende. Vor uns liegen die im Gegenlicht mystisch vor der Küste liegenden Inseln Scariff Island und Deenish Island. Viel zu schnell, nach nur 18 Kilometer ist für heute Schluss. Wir bleiben im beschaulichen Ort Waterville, oder besser gesagt, am Ortsrand, direkt am Meer. Und, wir gönnen uns heute ein etwas teureres Hotel. Das altehrwürde Hotel „Smugglers Inn“ liegt direkt neben dem weltbekannten Golfplatz Waterville, hat aber seine gemütliche Schrulligkeit bis heute nicht verloren. Herrlich knarrende Holzböden, ein alter offener Kamin, eine kleine Bar, die auch von Einheimischen besucht wird und nicht zuletzt der Blick hinaus aufs Meer lassen diesen Tag stilvoll ausklingen. Nicht zu vergessen allerdings die hervorragenden Speisen, die in der kleinen Küche liebevoll gekocht werden. Wenn dann noch, wie an diesem Tag, ein tieforanger Sonnenuntergang die Nacht einläutet sind des Genusses keine Grenzen gesetzt. Wir sind dankbar für das was wir erleben dürfen und was die Natur und die Menschen uns schenken.

Der regengraue nächste Tag führt uns zunächst zur kleinen Charlie Chaplin Statue in Waterville. Waterville war in den 60er und 70er Jahren für über mehr als zehn Jahre der Urlaubsort, die zweite Heimat, seiner großen Familie. Die Statue und das alljährlich im August stattfindende, viertägige Charlie Chaplin Comedy Film Festival erinnern an den „Litte Tramp“. Heute hält das Wetter noch eine weitere Zutat für unseren Irish Wheather Cocktail parat. Es ist der leichte Nieselregen, dessen winzige Tröpfchen ständig vom Visier entfernt werden müssen. Und doch lassen wir uns nicht abhalten die, meist von den Touristen am Ring of Kerry unbeachtete, Insel Valentia Island zu erkunden. Von Portmagee auf dem Festland führt eine Brücke hinüber auf die gerade einmal elf Kilometer lange und drei Kilometer breite Insel. Direkt nach der Brücke, auf der linken Seite, befindet sich das „The Skellig Experience“ Besucherzentrum, welches umfassend über die vor der Küste liegenden Skellig Insel informiert. Skellig bedeutet Fels, genauer „steiler Fels“. Seit 1996 ist die winzige Insel „Skellig Michael“ UNESCO Weltkulturerbe. Auf dieser Felsnadel im Atlantik befinden sich frühmittelalterliche Klosteranlagen in spektakulärer Lage. Die elf Kilometer vom Festland entfernte Insel kann nur in den Sommermonaten mit dem Boot erreicht werden. Zu unserer Jahreszeit müssen unser Fernglas und das dicke Teleobjektiv genügen. Wer jedoch wissen will, wie es dort aussieht, sollte sich den Film „Die letzten Jedi“ aus der Starwars-Saga ansehen. Auf der fiktiven Insel Rey, in Wirklichkeit Skellig Michael, wird Luke Skywalker gefunden, der die Rebellen im Kampf gegen die First Order unterstützen soll. Auch einige weitere Drehorte befinden sich entlang der irischen Küste und stellen den Planeten Ahch-to dar. Da uns ein Boot nicht in die Filmwelt entführen kann, beschließen wir entlang von Valentia Island nach Knightstown weiter zu fahren um von dort auf das Festland überzusetzen. In Knightstown angekommen lesen wir am roten Uhrenturm, dass die Fähre jedoch schon, saisonbedingt, ihren Dienst eingestellt hat. Nun gut, denken wir uns, und genießen die wirklich winzigen Straßen der Insel. Eine noch kleinere, engere Straße, mit betonierten Spitzkehren gesegnet, bringt uns direkt zum einsam an der Küste liegenden Valentia Leuchtturm am Cromwell Point. Voller Freude lesen wir, dass es dort ein Café geben soll. Hier können wir uns wieder aufwärmen und einen heißen Kaffee genießen. Gut gedacht, aber vor dem Cafébesuch steht der bepreiste Eintritt in den Leuchtturm. Doch nach Leuchtturm Besichtigung, insbesondere bei diesem trüben Wetter, ist uns momentan überhaupt nicht zu Mute. Also geht es mit klammen Fingern die anspruchsvolle Strecke zurück auf die Höhen der Insel. Kaum dort angelangt, trifft uns unsere lieb gewonnene Cocktailzutat mit voller Stärke. Die Sonne meint es wieder gut mit uns, wärmt uns und schenkt uns beeindruckende Lichtspiele auf den meterhoch mit Beerensträuchern gesäumten Wegen der Insel. Wie wir so verträumt dahinfahren entdecken wir an einer kleinen Bucht im Südwesten der Insel eine Erinnerungstafel. Von hier wurde in den Jahren 1858 und 1866 das Transatlantische Telefonkabel in die Neue Welt, genauer gesagt nach Neufundland, verlegt und läutete damit eine neue Ära der Kommunikation zwischen den Kontinenten ein.

Was folgt am nächsten Tag, ist der schöne Rest des Ring of Kerry. Entlang des Nordufers der Iveragh Halbinsel, entlang der Dingle Bay sind sie wieder da, alle Zutaten unseres Wettercocktails. In schneller Folge wechseln Regen, Wind und Sonnenschein. Und diesmal wird unsere Fahrt besonders versüßt. Gerade als wir nach Westen auf die Dingle Halbinsel abbiegen leuchtet uns ein strahlend bunter Regenbogen entgegen, der uns auf der gesamten Fahrt bis zum Ort Dingle begleitet. Dingle ist ein, trotz allem sommerlichen Tourismuses, beschaulicher Ort mit kleinem Hafen, einer eigenen Whiskey Destillerie und einem ganz besonderen „Einwohner“. Dieser besondere Einwohner ist der Delfin Fungie, der seit Jahren in der Hafenbucht lebt und die Einwohner wie Touristen begeistert. Zahlreiche Bootsvermieter bieten Touren an um Fungie aus nächster Nähe zu erleben. Doch auch, so wie wir es machen, auf einem Spaziergang entlang der Bucht, lässt sich der Delphin erblicken. Wo er sich gerade befindet ist leicht auszumachen, man muss nur mit den Augen den Booten folgen. Fungie hat es sogar schon zu einem Denkmal gebracht, welches am Hafenbecken zu seinen Ehren steht. Etwas sollte man sich, wenn man in Dingle ist und dort übernachtet, nicht entgehen lassen. Übernachten deshalb, weil es um Hochprozentiges geht und man danach nicht mehr fahren darf. Es ist die ortsansässige, kleine Whiskey Destillerie. Im kalten Winter 2012 wurde sie, so berichtet die Firmenchronik, in einem kleinen Blechschuppen gegründet. Die ersten Whiskey Fässer wurden im Dezember 2012 gefüllt und drei Jahre später wurde das erste Fass, das Fass Nummer zwei freigegeben. Der Dingle Whiskey war geboren. Nicht verpassen sollte man eine der täglichen Führung. Wir haben Glück und können noch am gleichen Tag die Destillerie besichtigen. Natürlich gibt es eine ausgiebige Probierrunde des Whiskeys sowie des ebenfalls hier hergestellten Gin und Wodkas. Doch die eigentliche Faszination der Besichtigung liegt darin mit welchem Enthusiasmus, welcher freudigen Energie und mit welcher Warmherzigkeit uns alles gezeigt und erklärt wird. Hier würden wir gerne, nicht nur wegen des Whiskeys, ein paar Monate mitarbeiten. Diese Begeisterung ist einfach wohlig ansteckend.

Da wir ein paar Tage in Dingle verweilen machen wir immer wieder kleine Motorradausflüge entlang der Küste der Dingle Halbinsel. Dabei entdecken wir entlang der verlassen wirkenden Straßen nicht nur atemberaubende Ausblicke auf das Meer, wir entdecken auch noch zwei weitere Filmschauplätze des Films „Die letzten Jedi“ am Slea Head und am Clogher Head. Dabei vergessen wir uns bei unseren langen Pausen fast und werden erst durch den kühlen Abendwind daran erinnert, dass es Zeit wird zurück, zurück nach Dingle, zu kehren.

Leicht fällt uns der Abschied nicht als wir am nächsten Tag unsere GS beladen und über eine kleine Passstraße hinüber nach Castlegregory fahren. Eine besonders schöne Motorradstrecke über den Conor Pass. Danach wird die Landschaft flacher und flacher. Artig folgen wir nun den Wegweisern des Wild-Atlantic-Way, zur Linken immer das Meer, zur Rechten die schier unendlich scheinenden grünen Wiesen gewürzt mit der klaren Luft die vom Atlantik zu uns herüberweht. Nach 150 Kilometern und fast drei Stunden Fahrzeit erreichen wir bei Tarbert den Fährhafen am Fluß Shannon. Eine Fähre bringt uns in 20 Minuten vom County Kerry hinüber nach Killimer im County Clare. Es ist später Nachmittag geworden und die letzten 22 Kilometer zu unserem Tagesziel, der Stadt Kilkee, verlangen nach einer kräftigen Hand am Lenker. Böig streicht der Wind über die fast baumlosen Flächen.

Kilkee, konnte sich noch eine Reihe viktorianischer Häuser aus dem 19. Jahrhundert bewahren und wirkt, besonders im Herbst, pittoresk und verschlafen. Die vor dem Ort liegende Bucht gleicht einem makellosen Halbmond. Ein Sandstrand, der im Sommer zum Baden einlädt. Dreieinhalb Kilometer südlich liegen die Kilkee Cliffs direkt an der engen Küstenstraße. Zwar sind diese Klippen nicht so bekannt wie die weiter nördlich liegenden Cliffs of Moher, doch alles ist hier ursprünglicher, denn es gibt weder Absperrungen, Besucherzentrum oder Parkplätze. Wir gehen zu Fuß, direkt am Abgrund, auf einem bequemen Wanderweg die gesamte Klippenszenerie entlang. Welch ein Genuss. Am Abend locken uns die Klänge irischer Volksmusik in ein uriges Pub. Mollig warm ist es im gut gefüllten Pub und während das Feuer im offenen Kamin vor sich hin knistert unterhalten die älteren Herren engagiert die Gäste mit einem Akkordeon, einer Fiddle, der irischen Geige und einer Gitarre. Die Musik strahlt unendliche Lebensfreude und gleichzeitig auch Wehmut aus und gehört zu Irland wie das launische Wetter. Auch unser Wirt greift immer mal wieder in die Saiten seiner Gitarre und vergisst Zeit und Raum. Und auch wir vergessen, bei frisch gezapftem irischem Bier, an diesem vorletzten Abend in Irland den Gedanken an die Rückreise.

Unsere Rückreise ist schnell erzählt. Mitten hindurch, durch die grüne Insel führt unser Weg zurück nach Dublin. Nicht jedoch vergessen haben wir dabei einen Abstecher zum Kloster von Clonmacnoise, dessen Ruinen eines der Highlights einer Irlandreise darstellen. Gegründet wurde es 548 vom heiligen Ciarán, strategisch günstig am Ufer des Shannon gelegen. Mystisch durchfluten die Lichtstrahlen der tiefstehenden Sonne die Mauern und Kreuze der Anlage, als wollten die Ruinen uns sagen, dass Irland im Spätherbst nicht nur eine Reise wert ist sondern die ganze Mystik der Insel erst jetzt zu ihrer vollen Entfaltung kommt.

Infoblock

Allgemeines

Irland ist bekannt für urige Pubs, grüne Wiesen und Wetterkapriolen. Flächenmäßig ist Irland etwa so groß wie das Bundesland Bayern. Von Nord nach Süd sind es circa 480 Kilometer, von Ost nach West etwa 275 Kilometer. Es ist oft windig und es regnet häufig, jedoch ist auch Sonnenschein ein häufiger Gast. Das Wetter kann sich schnell ändern, es ist aber selten extrem heiß oder extrem kalt. Die Vegetation ist dadurch üppig und sattgrün, daher auch der Beiname „Grüne Insel“. Es herrscht Linksverkehr, jedoch sind alle Angaben (außer in Nordirland) in metrischer Form. Die Iren sprechen hauptsächlich Englisch. Amtssprache ist in Irland neben Englisch das irische Gälisch, eine Sprache keltischen Ursprungs. Sie wird vor allem in ländlichen Regionen gesprochen. Seit 1. April 2014 gibt es den perfekt ausgeschilderten Wild-Atlantic-Way, eine der längsten zusammenhängenden Küstenstraße der Welt. 

Anreise
Für die Anreise mit dem eigenen Motorrad gibt es zwei Optionen. Die erste ist die Reise über Großbritannien mit der Fähre von den Niederlande, Belgien oder Frankreich. Alternativ kann man auch den Kanaltunnelzug ab Calais nach Folkestone nehmen. Dann weiter nach Wales oder Schottland und von dort mit einer Fähre auf die irische Insel. Option zwei ist die direkte Anreise mit der Fähre von Cherbourg und Roscoff nach Irland. Im Tourenfahrer Heft 5/2020 finden sich alle Fährverbindungen zwischen Großbritannien oder dem europäischen Festland auf die grüne Insel Irland. Ferner sind auf der TF-Website alle wichtigen Fähren aufgeführt. Unter www.bit.y/tftourdb gelangt man zur TF-Tour-Datenbank. Einfach links oben auf der Karte „Fähren“ anklicken und schon werden die verschiedenen Routen angezeigt.

Klima / Reisezeit
Irland befindet sich in einer gemäßigten Klimazone und gilt als sehr niederschlagsreich. Das ganze Jahr wird bestimmt durch den Golfstrom und südwestlichen Winden, die zusammen für ein ausgeglichenes ozeanisches Klima sorgen. Jedoch werden die Regenmengen seit Jahren durch die Klimaveränderung weniger. Wenn man sich die Klimatabelle von Südirland ansieht, fällt sofort auf, dass die beste Reisezeit von Juni bis September ist, da dann milde, angenehme Temperaturen herschen und es kaum Niederschlag gibt. Die höchste Durchschnittstemperatur ist 17 °C im Juli und die niedrigste Temperatur beträgt 8 °C im Januar. Im Monat Oktober sind es mit 14 Regentage pro Monat gerade einmal zwei Tage mehr als im August.

Motorradfahren
Eine schier unendliche Zahl von kleinen bis winzigen Straßen durchzieht das Land. Besonders die Sträßchen entlang der Küsten sind anspruchsvoll und verlangen, auch wegen des Linksverkehrs, in Sachen Sicherheit eine überlegte Fahrweise. Kniffelig wird es, wenn die ganz küstennahen Straßen von der Meeresbrandung mit Salzwasser getränkt werden. Dann wird es schmierig und rutschig. Auch sollte man seinem Motorrad während, oder mindestens nach der Reise, einer umfangreichen Wäsche unterziehen, denn das Salz steckt in jeder Ritze und Korrosionsschäden sind vorprogrammiert. Im Sommer herrscht, besonders im Süden, reger Tourismusverkehr. Daher bieten sich die Vor- oder Nachsaison besser fürs entspannte Motorradfahren an.

Unterkünfte / Verpflegung

Während der Nebensaison im Frühjahr und im Herbst ist es leicht über die einschlägigen Buchungsportale eine Unterkunft zu finden. Wer tiefer in das Land eintauchen und Kontakt mit der sehr gastfreundlichen Bevölkerung bekommen möchte, nimmt die Bed & Breakfast Variante. Nur sollte man im Vorfeld schon mal schauen, ob es auch eine Möglichkeit fürs Abendessen in Gehweite gibt, denn es macht wirklich keinen Spaß abends nochmals in voller Montur aufs Motorrad zu steigen, insbesondere bei schlechtem Wetter, um zu einem kilometerweit entfernten Restaurant zu gelangen. Eine sehr gute Seite zur Suche von Unterkünften in Irland ist die Internetseite von Tourism Ireland (www.ireland.com/de-de/), die in deutscher Sprache eine Auswahl von preiswerten Unterkünften bis zur luxuriösen Übernachtung auf einem Schloss, für jeden Geschmack etwas bietet.

Das typische irische Essen ist deftig und einfach aber dennoch sehr schmackhaft. Irish Stew ist nicht nur das bekannteste irische Gericht es ist auch das Nationalgericht. Ein traditioneller Eintopf wird aus Lamm, Lauch, Möhren, Kartoffeln, Petersilie, Zwiebeln und Weißkohl zubereitet. Bekannt ist natürlich auch der "Smoked Salmon", der geräucherte Lachs. Dieser wird in unzähligen Räuchereien entlang der Küste produziert. Mittlerweile hat sich auch die irische Küche auf vegetarisches Essen eingestellt, so gibt es verschiedene Abwandlungen des Irish Stew, zum Beispiel Gemüse-Stew mit Kartoffel-Käse-Haube. Stets speist man im Pub günstiger als im Restaurant. Das Frühstück in Irland ist eine besondere Geschichte. Für den Touristen gibt es dieses jeden Tag, der Ire verspeist es meist nur am Wochenende. Jeder Kalorienzähler macht dabei schlapp. Als Getränk gibt es Tee, Orangensaft und für den Touristen Kaffee. Weiter folgen die harmlosen Komponenten wie Porridge (relativ geschmacksneutraler Haferbrei), Speck und Eier. Diese nach Wunsch als Rühr- oder als Spiegelei. Zum vollen Erlebnis gehören Würstchen, Räucherhering oder Lachs, gegrillte halbe Tomaten, Kartoffelreibekuchen und Unmengen von Toast und Bohnen. Zur Höchstform läuft das irische Frühstück auf wenn der so genannten Black Pudding, eine irische Spezialität, die vor allem Blutwurst und Getreide wie Hafer enthält, gebraten auf den Teller kommt. Sein blutloses Pendant, der White Pudding, enthält anstelle von Blut fast nur Schweinefett. Doch Vegetarier keine Angst. Es gibt natürlich auch Frühstücksvarianten in einer vegetarischen Version. Die lauten dann: Vegetarische Würstchen, Pilze, gegrillte Tomaten, gebackene Bohnen, Kartoffelkuchen, weißer und brauner Toast, verschiedene Konfitüren, Quark, Honig und meist gibt es noch einen frisch gemachten Pfannkuchen dazu. Eines ist allen Frühstücksvarianten aber sicher, hungrig steht niemand vom Frühstück auf.

Literatur / Karte

Auf dieser Tour verwendete der Autor den Reiseführer aus dem Reise-Know-How Verlag „Irland (mit Nordirland)“. ISBN 978-3-8317-3040-7, 11. Auflage 2018, 504 Seiten, 19,90 €. Daneben den kompakten Marco-Polo Reiseführer „Irland“, ISBN 978-3-8297-2775-4, 17. Auflage 2018, 148 Seiten, 12,99 €. Als Karte diente die Irlandkarte im Maßstab 1:350000 des Reise-Know-How Verlags. ISBN 978-3-8317-7347-3, 9. Auflage 2020, 9,95 €.

Charlie Spiegel www.mototrotter.de


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